Russische Schattenflotte: Europäische- und US-Reeder haben offenbar 230 alte Tankschiffe an Russen verkauft

Russische Schattenflotte: Europäische- und US-Reeder haben offenbar 230 alte Tankschiffe an Russen verkauft

Europäische und US-Reeder haben in den vergangenen Jahren offenbar 230 alte Tankschiffe in die sogenannte russische Schattenflotte verkauft. Zu diesem Ergebnis kommt das internationale Rechercheprojekt Shadow Fleet Secrets, an dem in Deutschland Reporter von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" beteiligt waren. Insgesamt haben westliche Reeder und Schiffseigentümer zwischen 2022 und 2024 demnach mindestens sechs Milliarden US-Dollar durch entsprechende Verkäufe eingenommen. Auch mehrere deutsche Reedereien und die Schiffseigentümer profitierten dem Bericht zufolge nachweislich von derartigen Geschäften. Der Großteil der Schiffe der Schattenflotte wird heute mutmaßlich dafür eingesetzt, die westlichen Sanktionen gegen Russland zu unterlaufen.

Experten sehen in der Schattenflotte zudem ein gravierendes Umweltrisiko, da die Schiffe oft alt und in schlechtem Zustand sind und in der Regel keinen ausreichenden Versicherungsschutz aufweisen. Im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine haben sich die Preise für gebrauchte Tankschiffe mehr als verdoppelt. Experten machen dafür insbesondere die enorme Nachfrage nach Schiffen verantwortlich, die durch den Aufbau der Schattenflotte ausgelöst wurde. Die Recherchen zeigen, dass von 665 Schiffen, die der russischen Schattenflotte zugerechnet werden, 230 von europäischen und US-Reedern stammen. Diese Schiffe wurden von westlichen Reedereien nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verkauft. Die meisten der fraglichen Tanker stammen laut dem Rechercheprojekt von griechischen Reedereien. Der Verkauf von Tankern an die russische Schattenflotte ist nicht verboten, solange es sich bei den neuen Eignern nicht um russische oder um sanktionierte Unternehmen handelt.

Oft ist jedoch schwer zu erkennen, wer die letztendlichen Käufer des Schiffes sind, weil sich diese hinter komplexen Unternehmensstrukturen verbergen oder weil Käufer in Jurisdiktionen beheimatet sind, in denen es keine transparenten Unternehmensregister gibt. Auch mehrere deutsche Reedereien und Schiffseigentümer haben in den vergangenen Jahren elf Tanker verkauft, die heute in der Schattenflotte fahren. Der Verband Deutscher Reeder (VDR) teilte mit, dass er die Entwicklung mit Sorge betrachte. Es dürfe nicht sein, dass "wirtschaftlicher Gewinn (...) auf Kosten von Sicherheit, Compliance oder ethischen Grundsätzen" erzielt werde. Der VDR rief seine Mitglieder dazu auf, bei künftigen Verkäufen ihre Sorgfaltspflichten ernst zu nehmen und Transaktionen auf potenzielle Risiken zu überprüfen. Das Angebot an Tankschiffen, die für die Schattenflotte interessant sein könnten, bleibt derweil hoch.

Eine Auswertung von Daten des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) zeigt, dass derzeit 89 Tanker allein in der deutschen Flotte 15 Jahre oder älter sind. In diesem Alter werden Tanker häufig von westlichen Unternehmen verkauft. Theoretisch besteht somit die Gefahr, dass auch diese Schiffe in die russische Schattenflotte übergehen. Das Rechercheprojekt Shadow Fleet Secrets wurde von der Journalistenorganisation Follow the Money geleitet. Es basiert auf Daten der Kyiv School of Economics. Neben NDR, WDR und SZ waren daran Journalisten von De Tijd (Belgien), DanWatch (Dänemark), Solomon and Inside Story (Grichenland), OCCRP (international), IRPI (Italien) und NRK (Norwegen) beteiligt.