Nachdem Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) eine Erhöhung des Mindestlohns offengelassen hat, pocht die SPD auf einen Anstieg auf 15 Euro pro Stunde. "Wir sagen klar: Die Krisen unserer Zeit lassen sich nur solidarisch meistern", sagte Dagmar Schmidt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, der "Welt".
Man habe sich im Koalitionsvertrag entsprechend geeinigt und der Mindestlohnkommission eine Richtung vorgegeben. "Damit ist der Weg geebnet: Der Mindestlohn wird sich dynamisch bis 2026 in Richtung 15 Euro entwickeln - das stärkt Millionen Beschäftigte, entlastet die sozialen Sicherungssysteme und ist wirtschaftlich vernünftig", sagte Schmidt.
"Deutschland braucht gerechte Löhne - starke Tariflöhne und einen anständigen Mindestlohn und keine Steuergeschenke für Spitzenverdiener."
In einem "Bild"-Interview hatte Merz zuvor gesagt, die Erhöhung zum Mindestlohn sei kein Automatismus. Man habe der Mindestlohnkommission lediglich eine Richtung vorgegeben.
Die Unionsfraktion bekräftigte wiederum Merz` Lesart: Aus dem Koalitionsvertrag leite sich eben kein Automatismus ab. "Die Festsetzung des Mindestlohns ist und bleibt Aufgabe der unabhängigen Mindestlohnkommission. Daran halten wir als Union fest - auch als künftige Regierungsfraktion", sagte Stephan Stracke (CSU), Sprecher der Unionsfraktion für Arbeit und Soziales. "Politisch motivierte Festlegungen per Gesetz lehnen wir ab. Denn sie können Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum gefährden."
Die Mindestlohnkommission entscheide "sachlich und politisch unabhängig", die Orientierung an Tarifentwicklungen und den 60 Prozent des Bruttomedianlohns sei im Koalitionsvertrag festgelegt worden. Nun werde sachlich und politisch unabhängig geprüft. "Das stärkt die Tarifautonomie und sichert Arbeitsplätze", sagte Stracke der "Welt". "Wer jetzt schon das Ergebnis vorgibt, missachtet diesen klaren Auftrag."
Die Grünen kritisierten den Koalitionsvertrag nach Merz` Interview als "eine große Nicht-Einigung". "Friedrich Merz wird das nutzen, die Mitte ärmer und die Reichsten reicher machen. Die SPD hätte sowas nie unterschreiben dürfen", sagte Andreas Audretsch, Bundestagsabgeordneter und zuletzt stellvertretender Grünen-Fraktionsvorsitzender. "Noch bevor er zum Kanzler gewählt ist, hat Friedrich Merz 15 Euro Mindestlohn schon eine Absage erteilt." Über 800.000 Menschen arbeiteten in Deutschland und seien trotzdem auf Bürgergeld angewiesen. "Wer zu einem kleinen Lohn hart arbeitet soll weiter arm bleiben", sagte Audretsch.
Die AfD hält den Konflikt um den Mindestlohn für den "ersten Härtetest" der künftigen Koalition. "Schon jetzt widersprechen sich Koalitionsvertrag und Kanzler in spe. Das zeigt, wie wenig Substanz hinter den vollmundigen Versprechen steht", sagte René Springer, Sprecher für Arbeit und Soziales der AfD-Bundestagsfraktion. Der Mindestlohn dürfe nicht zum "politischen Spielball" werden, Löhne sollten "wirtschaftlich darstellbar und an der Produktivität orientiert sein", sonst gefährde man Arbeitsplätze in kleinen Betrieben und im ländlichen Raum. "Wir stehen zur Arbeit der unabhängigen Mindestlohnkommission - nicht zu staatlich diktierten Löhnen", sagte Springer. "Der Vertrag liest sich wie ein Sammelsurium aus Wunschdenken und Floskeln. Für Arbeitnehmer und Betriebe bedeutet das vor allem eins: Stillstand und Unsicherheit."
Die Linke kritisierte Merz scharf. "Noch nicht mal im Amt, zeigt Friedrich Merz Flagge: Die Menschen, die für den mickrigen Mindestlohn schuften, der vorne und hinten nicht zum Leben reicht und nach einem harten Arbeitsleben direkt in die Altersarmut führt, sind ihm schlicht egal", sagte Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek. Sie sieht dies auch als Strategie gegen den Rechtsruck. Dafür bleibe der Bundesregierung nicht viel Zeit. "Diese Klientelpolitik für die Reichsten, Militarisierung der Gesellschaft und harter Sozialabbau werden aber weiter den Rechten den Weg ebnen."
Reichinnek macht vor allem den Sozialdemokraten Druck. Durch viele "schwammige Formulierungen im Koalitionsvertrag" entstehe erst jener "Raum für Interpretationen". "Für die SPD war der Mindestlohn der große Erfolg in den Verhandlungen. Merz fällt seinem Koalitionspartner mit dieser Aussage brutal in den Rücken", sagte Reichinnek der "Welt". Beim Mindestlohn wie bei Steuersenkungen für niedrige und mittlere Einkommen müsse die SPD auf konkretere Formulierungen bestehen. "Die SPD lässt die Gewerkschaften und Beschäftigten im Stich. Die Prekarisierung schreitet voran", so Reichinnek.